Tarikih unterwegs (12)

Frühjahrs-Hilfsaktion 2008

Bis zum Abflugtermin am 9.2. stand für mich noch nicht fest, ob ich die Reise überhaupt antrete oder nicht.

Die letzten Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember 2007 haben Kenia fast in einen Bürgerkrieg gestürzt. Mwai Kibaki, der alte Präsident, wurde kurz nach der Stimmenauszählung als neuer Präsident vereidigt.

Da es Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung gab, hat Oppositionsführer Raila Odinga zu Protesten aufgerufen und den Präsidenten zum Rücktritt aufgefordert.

Die Proteste verliefen unglücklicherweise nicht friedlich und es kam in verschiedenen Ballungszentren zu Straßenschlachten mit bis zu insgesamt 1.200 Toten und 350.000 Flüchtlingen.

Durch fast stündliche Recherche im Internet und Kommunikation mit Kontaktleuten in Kenia war ich immer auf dem aktuellen Stand der Sicherheitslage gewesen.

Somit konnte ich für mich zum Schluss abwägen, ob ich mich auf ein Risiko einlasse oder nicht.

Aufgrund der mir vorliegenden Informationen sah ich keinen Grund, nicht nach Kenia zu fliegen und startete meine Reise wie geplant.

Der Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen Kenias, kann man heute sagen, ist auf bis zu 90% zurückgegangen, obwohl man in den Touristenzentren und in den Nationalparks von den Unruhen so gut wie nichts gemerkt hat.

Touristen waren nie ernsthafte Ziele dieser Auseinandersetzungen und die Hochburgen der Krawalle werden auch selten oder gar nicht von Touristen besucht.

Das auswärtige Amt hat die Reise/Sicherheitswarnungen weiter zurückgenommen und Walter Lindner, deutscher Botschafter in Nairobi, ermutigt nun deutsche Touristen wieder in Kenia Urlaub zu machen.

Noch nie bin ich so schnell vom Flieger durch die Passkontrolle über das Kofferband und durch die Zollkontrolle gekommen. Eine reine Freude. So sollte es immer sein.

Mike und Sophie haben mich draußen schon erwartet und nach knapp zwei Stunden, die Straße nach Malindi ist nun auch in einem vernünftigen Zustand, erreichen wir Paradise Village, meine vorläufige Unterkunft.

Nach zwei Tagen in Malindi mache ich mich auf den Weg zur Lmagiro Farm, zu unserem Mitglied Silvia Jenkins Pirelli.

Sie wird mich nach Hola begleiten. Auf der Farm angekommen, lerne ich auch Polina kennen, sie ist Ukrainerin, macht gerad ein 6 monatiges Praktikum bei Silvi und möchte das einfache Leben in Kenia kennen lernen.

Außerdem macht die 28-jährige sich auch auf der Farm nützlich. Sie fragt, ob sie mit nach Hola darf.

Ich erzähle ihr von Tarikih und Sinn und Zweck dieser Tour und dass es keine Kaffeefahrt sein wird.

Sie möchte immer noch mit und verspricht mir viele Fotos zu machen.

Silvia, die sie ja nun schon etwas länger kennt, meint dass wir sie mitnehmen können.

So bereite ich die Fahrt nach Hola für uns vor.

Abfahrt soll der 13.02. morgens um 9 Uhr sein. Der ansonsten eigentlich zuverlässige „Toyota Surf“, den wir sonst immer haben, kommt wohl auch in die alten Tage.

Noch vor der Abreise nach Hola bemerke ich ein Problem mit den Bremsen und informiere den Vermieter, der sofort bereit ist, mir ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung zu stellen.

Das ist ein Nissan Minibus, den er mir allerdings nur mit Fahrer geben kann.

Wir laden das Reisegepäck vom Toyota in den Minibus und können verspätet losfahren.

Mein Vorteil ist, ich brauche diesmal nicht zu fahren und kann ziemlich ausgeruht in Hola ankommen.

Kazungu, unser Fahrer, der normalerweise Safaris durchführt, braucht zwar seine Zeit aber er steuerte den Wagen souverän und sicher bis zu unserem Ziel.

Kurz vor der Ankunft in Hola schießen wir noch ein Erinnerungsfoto mit unserem Begleitschutz.

Nun verabschieden wir uns von unserer bewaffneten Eskorte und suchen erst einmal einen „Biergarten“ auf.

Leider gibt es noch keine kalten Getränke. Erst um 8 Uhr abends, sagt man uns.

Nach dieser so genannten Erfrischung fahren wir ins Zentrum und anschließend gleich zu John Dukos Haus.

Auf dem Weg dort hin begegnen uns die Schüler, die gerade mit dem Unterricht fertig sind und nach hause gehen.

Wir sind da. John Dukos Kinder strahlen vor Freude und auch seine Frau Lina lacht, als sie uns sieht. Endlich angekommen. John ist wie immer nicht da, aber wird gleich eintreffen, so heißt es ja jedes Mal.

Beim Entladen unseres Gepäcks wollen alle Kinder mithelfen. Nicht nur die Dukos, sondern auch die Nachbarkinder versuchen unsere schweren Behälter von der Stelle zu bekommen.

Was zu schwer ist, ist zu schwer.

Nach und nach liegt alles in unserem Zimmer verstreut und jeder macht so seine Ordnung für sich.

Ich hatte ihm vorher schon signalisiert, dass wir dieses Mal zu dritt kommen werden. Da wir ja mit Fahrer unterwegs sind, was sich ja kurzfristig ergeben hat, sind daraus allerdings vier Personen geworden und nun fehlt ein Bett.

Aber in einem Zimmer von den Kindern, die mittlerweile schon aus dem Haus sind, steht noch ein altes Bett mit Matratze. Das wollte John uns allerdings nicht anbieten, aber Kazungu unser Fahrer übernimmt problemlos dieses Zimmer und somit ist die Bettenfrage für den vierten Mann auch geklärt.

Da Familie Duko nur über 2 Gästebetten verfügt, und wir noch ein drittes benötigen, nimmt John mich zur Seite.

Er hatte schon vorher ein drittes Bett beim Schreiner bestellt und bittet mich, dieses nun abzuholen.

Auch muss noch eine neue Matratze gekauft werden.

Das erledigen wir umgehend und wir bringen unsere Sachen so gut es geht in Ordnung.

Nach einer kleinen Verschnaufpause werden die Moskitonetze montiert.

Im Zimmer haben wir immerhin schlappe 36 Grad und der Schweiß läuft uns aus allen Poren.

Draußen in der Sonne habe ich 56 Grad gemessen.

Der kleine Martin hat eine böse Verletzung an der linken Ferse. Er ist mit einem Fahrrad kollidiert.

Da Silvi es ja von ihrer Farm her gewohnt ist, dass täglich jemand mit irgendwelchen Verletzungen zu ihr kommt, ist es für sie selbstverständlich auch hier zu helfen.

Wir packen unseren Verbandskasten aus. Die Wunde wird erst einmal gereinigt und dann mit Medikamenten versorgt.

Der Kleine ist sehr tapfer und hat noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt.

Noch bevor es dunkel wird machen wir einen Abstecher zur Schule.

Dabei stellen wir fest, dass Klassenraum Nr. 9 fertig ist, aber warum ist das Toilettenhaus für die Lehrerinnen noch nicht fertig?

Da es schon zu spät ist, können wir das nur morgen klären.

Wir sind wieder zurück und die Nacht bricht schnell herein und aus der nahen Pokomoküche hört man Töpfe klappern. Aha, da wird das Dinner vorbereitet.

Nach etwa einer Stunde werden wir zum Essen gerufen.

Lina ist eine ausgezeichnete Köchin und mit dem Gemüse, den Bratkartoffeln, den Spaghettis und dem Hühnchen lässt es sich ganz gut leben in Hola.

Allerdings gibt es das auch nicht jeden Tag.

 

Nach dem Essen stürzen wir uns noch ein wenig in das „Nachtleben“ von Hola.

Selbst John Duko begleitet uns heute. Das hat er ja noch nie gemacht.

Wir hoffen nun ein kaltes Bier zu bekommen. Tatsächlich, zwar nicht eisig aber für diese Umstände sehr angenehm kühl.

 

Nach ein paar Bierchen geht es dann auch nach Haus, denn wir wollen unseren Gastgeber, der schon am Kneipentisch eingeschlafen ist, nicht weiter strapazieren. Lala Salama.

In der Nacht hat es sich auf 27 Grad abgekühlt und wenn eine kleine Brise weht, wird das als sehr angenehm empfunden. Lala salama.

Die ersten Hähne krähen schon und die Nacht ist vorbei und langsam kommt auch wieder Leben in das Haus. Aus der Nachbarschaft hört man auch schon die ersten Kinder schreien. Töpfe klappern schon wieder in der Küche, der erste Tee wird gekocht. Afrika erwacht.

Nach dem Frühstück geht es ab zur Schule. Jetzt haben wir einen besseren Überblick, als gestern in der Dämmerung.

Der Unterricht ist schon in vollem Gange und wir steuern zielstrebig auf das Schulleiterbüro zu.

Hier freut sich und begrüßt uns Alfelt Komora, die stellvertretende Schulleiterin. Mary sei immer noch nicht zurück, entschuldigt sie ihre Chefin.

Kein Problem für uns, wir schaffen das schon.

Nachdem ich unsere weiteren Pläne erläutere und als ich von dem 10. Klassenraum erzähle, strahlen Alfelts Augen. Auch die Lehrertoiletten kommen nun endlich zum Abschluss und das war auch wirklich höchste Zeit.

Das gesamte Lehrpersonal ist sehr glücklich darüber, was wir auch verstehen können. Wir sprechen auch über ein Stellvertreterbüro und wenn es sich realisieren lässt, werden wir im zweiten Gebäudetrakt noch einen Raum dafür einplanen.

Ein altes Problem ist allerdings immer noch nicht behoben. Die regelmäßige Reinigung des Schulhofes.

Daraus machen wir erneut ein Thema und Alfelt entschuldigt sich und sagt sie versuchen es immer und immer wieder.

Wieder gehe ich mit der Schulleiterin auf den Schulhof und zeige ihr die schwarzen Plastiktüten, die sich mittlerweile wieder angesammelt haben.

Sie stimmt mir zu und sie wird ihr Bestes geben, dafür zu sorgen, dass alles sauber wird.

Da hat Silvi eine Idee.

Sie bittet Alfelt, ihr in der nächsten Schulstunde eine Klasse zu geben, in der sie Umweltunterricht abhalten kann.

Voller Begeisterung übergibt die Schulleiterin eine etwas ältere Klasse an Silvi.

Dieser Umweltunterricht wird sehr lebendig, in Englisch und teilweise sogar in Kisuaheli unter die Schülerinnen und Schüler gebracht.

Alle machen fantastisch mit und haben sogar ihren Spaß daran.

Ob sie auch etwas daraus gelernt haben, werden wir beim nächsten Besuch sehen.

Zwischenzeitlich zeigt mir eine andere Lehrerin das neue Lager, in dem die Lebensmittel für die täglichen Rationen liegen.

Hier werden also die Hilfslieferungen vom World Food Programm eingelagert, um später in der Schulküche verarbeitet zu werden.

Nun schauen wir uns den fertigen 9. Klassenraum an.

Allerdings sind da so ein paar Schönheitsfehler, die wir mit dem Baumeister erst einmal klären müssen.

Auch die Schulbänke sind etwas zu klein geraten.

Diesem Unternehmer werden wir gleich einen Besuch abstatten.

Doch zuvor gehen wir erst einmal zur Lehrerinnentoilettenbaustelle.

Da sieht man ja nur ein tiefes Loch. Warum sind die noch nicht weiter? Bald werden wir es wissen.

Beim Bauunternehmer angekommen, der ja eigentlich Händler und Subunternehmer ist, bekommen wir die obligatorische wirklich kalte Cola.

Hier trage ich nun meine Beschwerden vor. Warum sind im neuen Klassenraum kleinere Fenster als bestellt?

Es geht hier um 2 cm. Warum ist die Tür am Scharnier ausgebrochen? Das ist minderwertige Qualität.

Warum sind keine Sicherungsnägel an den Dachstützen? Beim nächsten Sturm kann alles weg fliegen.

Warum sind die Schulbänke kleiner als normal?

Und zu guter letzt, warum ist das Toilettenhaus für die Lehrerinnen noch nicht fertig?

Er beteuert, dass er ja gar nichts dafür kann, er ist nicht Schuld, die Handwerker haben Bockmist gebaut. Die Schreiner haben die Fenster falsch zugesägt, ebenso die Schulbänke.

Der Schreiner hat auch minderwertige Qualität bei der gebrochenen Tür geliefert.

Dann hat es wochenlang geregnet und das Material ist von Mombasa nicht rechtzeitig eingetroffen. Dann war Ramadan.

So redet er in einem Schwall, dass einem dabei schwindelig wird.

Wie kann es anders sein, er windet sich und versucht es mit allen möglichen Ausreden, die ich so nicht gelten lasse.

Und als ich sage, dass er allein dafür verantwortlich sei, er hat doch schließlich den Auftrag dafür bekommen, gibt er es auf einmal zu und ist ganz klein mit Hut.

Wir einigen uns erst einmal auf die Erweiterung des Lehrerinnentoilettenhauses auf drei Einheiten. Die Schulbänke nimmt er zurück und will neue bauen lassen.

Zwischenzeitlich habe ich Preise für Schulbänke bei anderen Schreinern angefragt und konnte somit den Preis um mehr als 10 Prozent drücken.

Er akzeptiert den neuen Preis und versprach alles innerhalb 14 Tagen zu erledigen. Ich bin fest entschlossen, den Auftrag woanders hin zu geben, aber wir geben ihm die Chance, es wieder gut zu machen.

Wir vereinbaren, dass er das Restgeld nur bekommt, wenn die verbleibenden Arbeiten zufrieden stellend ausgeführt sind.

Den Auftrag für Material Klassenraum 10 und für das Lehrertoilettenhaus bekommt allerdings ein anderer Lieferant.

Auch die Bauausführung vergeben wir an andere Handwerker und innerhalb einer Woche reichen die Mauern des neuen Klassenraums schon an Fensterhöhe. Das nenne ich diszipliniertes Arbeiten.

Das ärgerte natürlich den alten Subunternehmer, der mich daraufhin anrief, mir dieses mitteilte und fragte, warum er nicht mitmischen darf.

Da erzählte ich ihm, dass wir mit dem letzten Deal sehr unzufrieden waren und dass wir nicht möchten, dass Einzelpersonen an Tarikih verdienen, sondern die ganze Gemeinde davon profitieren soll.

Das heißt, dass auch mal andere Firmen und Handwerker verdienen dürfen. Das hat er hoffentlich verstanden.

Zum Schluss fragt er mich, ob wir denn noch Freunde sind. Wir sollten doch das Geschäftliche vergessen.

Ok, sage ich und verabschiede mich von diesem arabischen „Schurken“. smiley

Doch nun wieder zurück zum normalen Alltagsleben in Hola.

Während wir uns um die Schule kümmern und die unterschiedlichsten Aufgaben erledigen, ereignet sich am Fluss mal wieder ein Zwischenfall mit einem Krokodil.

Zwei junge Frauen haben am Ufer Wasser geholt, die Eine wurde von einem großen Krokodil plötzlich am Arm gepackt und ins Wasser gerissen.

Der Biss war so heftig, dass der Arm dabei durchgebissen wurde aber die Frau sich glücklicherweise wieder ans Ufer retten konnte. Sie wurde schnell ins nahe Krankenhaus gebracht und notärztlich versorgt.

Der Unterarm allerdings ist für immer verloren, den hat das Krokodil gefressen.

Aus der Region am Tana River werden jährlich zahlreiche Unfälle mit Krokodilen gemeldet, die aber auch tödlich ausgehen können.

Unvorsichtigkeit wird oft als Ursache genannt.

Man kann das vielleicht vergleichen, wie hier mit unseren Verkehrsunfällen im Straßenverkehr.

Nachdem unsere Mission in Sachen Tarikih hier erledigt ist, können wir uns ganz entspannt auf die Rückreise nach Malindi vorbereiten.

Einige Pokomos bringen mir Briefe für Freunde in Deutschland, mit der Bitte, diese an die richtigen Adressen weiter zu leiten, kein Problem, sage ich.

Das herzliche Verabschieden will kein Ende nehmen, doch nun starten wir durch. Nach etwa 15 Minuten befinden wir uns auf dem staubigen Highway B8 und rumpeln der uns vertrauten Zivilisation Richtung Süden entgegen.

Wie auch auf der Hinreise sehen wir Kudu Antilopen, Dik Diks und Scharen von Perlhühnern.

Manchmal versperren auch riesige Rinderherden die Piste und wir müssen warten, bis die Horntiere den Weg frei machen.

Bald erreichen wir die Teerstraße und auf unserer Restroute liegen am Indischen Ozean die Salzgewinnungsanlagen.

Von hier ist es nicht mehr weit nach Malindi und wir sind froh, bald wieder „ zuhause“ zu sein.

Asante sana und kwaheri.

Roland Ströder


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